Sie waren einmal die berühmteste Fernsehfamilie in Deutschland, und für viele sind sie auch heute noch ein Begriff, obwohl die letzte Folge bereits 1967 lief. In Hessen sind sie sowieso nie vergessen worden, denn nichts und niemand sonst hat die wahre Schönheit und den herben Reiz der hessischen Idiome und des (süd- und mittel-)hessischen Volkscharakters so augen- und ohrenfällig gemacht wie die Familie Hesselbach.
Die Hesselbachs als Urahnen der Lindenstraße
Was aber nur die wenigsten wissen: Die gutbürgerliche Idylle mit Mamma und Babba an der Spitze hatte ihre Erfolgsgeschichte im Hörfunk begonnen, und zwar schon 1949. Bis März 1956 und bis zum Konkurs der Hesselbach GmbH waren die Alltagsabenteuer „irgendwo im Hessischen“ nur über das Radio zu verfolgen. Der Friedberger Kabarettist und Schauspieler Wolf Schmidt (1913-1977) ist der Erfinder der babbelnden Kernseifenoper, die zum Urahn der Lindenstraße wurde. Was den Erfolg ausmachte, war die Nähe der Figuren zu realen Personen, nicht des öffentlichen Lebens, sondern des privaten der Zuhörer und Zuschauer. Weil die oder der auch neben einem sitzen oder arbeiten konnte, waren die Hesselbachs und ihr ausufernder Bekanntenkreis so beliebt.
Wie im richtigen Leben ging es in den Episoden zu, nur dass man vor dem Radio oder Fernseher herzhaft lachen durfte. Bis zu drei Viertel der Apparate waren eingeschaltet, wenn Mamma ihren Schreckensruf „Kall, mei Drobbe“ ausstieß, der ach so „wertschaftliche Erwin“ gelobt wurde, das „Dreckrändsche“ für Aufregung sorgte oder der „röhrende Hirsch“ den Besitzer wechseln sollte. In 128 Folgen und vier abendfüllenden Spielfilmen demonstrierte Wolf Schmidt – wie in den fünfziger Jahren vom Hessischen Rundfunk immer wieder stolz bemerkt wurde –, dass nicht nur Schwaben und Bayern, Rheinländer und Sachsen, Berliner und Hamburger den Humor für sich gepachtet hatten.
Babbelnde Kernseifenoper in „Kompromiß-Hessisch“
Der Dialekt spielte dabei für Wolf Schmidt nur eine untergeordnete Rolle. „Es gibt überhaupt kein Hessisch“, schrieb er 1952, sondern „485 1/2 Sorten Dialekte, die alle Hessisch sind, und doch alle so verschieden“. Für sein „Kompromiß-Hessisch“, wie er es nannte, bat Wolf Schmidt bei den Sprachwissenschaftlern um Nachsicht und bekannte sich „in allen Dialektpunkten mangelnder Genauigkeit schuldig“. Aber gerade diese mangelnde Genauigkeit war es, die seine Sendungen in allen Teilen Deutschlands so verständlich machte. Mit Wolf Schmidt wurde auch die „Mamma“ Liesl Christ zu einem Fernsehstar – und daneben noch viele andere, denen das Multitalent (als Autor, Hauptdarsteller und zeitweilig Mitregisseur) die Rollen auf den Leib geschrieben hatte. Dass seine Beobachtungen aus dem Alltagsleben aber keineswegs nur für das Land zwischen Weser und Neckar Gültigkeit hatten, beweist auch die Zahl der ‚Übersetzungen‘.
Die Familie Staudenmaier in Stuttgart und die Familie Schmitz in Köln schlugen sich mit den gleichen Problemen herum wie die Hesselbachs in Frankfurt. Selbst in Basel mochte man auf die schwyzerdütsch vorgetragenen Weisheiten von Wolf Schmidt nicht verzichten. Eine besondere Ehre wurde Wolf Schmidt lange nach seinem Tod zuteil, als ihn der (ebenfalls aus Friedberg stammende) Schriftsteller Andreas Meier 2006 in seiner Frankfurter Poetikvorlesung als eines seiner Vorbilder bezeichnete: „Es gibt Szenen in meinem ersten veröffentlichten Roman, Wäldchestag, die sind ohne Wolf Schmidt überhaupt nicht denkbar. Figuren andauernd aneinander vorbeireden zu lassen, das lernte ich von Wolf Schmidt.“ Und die Serie selbst, für viele das Urbild eines gemütlichen Fernsehnachmittags, sei für ihn „kein Kitsch, sondern das Gegenteil. Die Familie Hesselbach lügt die Welt nicht in eine höhere Qualitätsstufe hinauf, sie implementiert dem Zuschauer ein schleichendes Gift, nämlich das Gift der Selbsterkenntnis“.