Sehr geehrter Herr Präsident,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
die letzte Plenarsitzung des Hessischen Landtags fand vor fünf Wochen am 24.02.2022 statt und es war der Tag des Angriffs Russlands auf die Ukraine.
Ungläubiges Erstaunen, Entsetzen und Angst erfassten die Menschen. Mittlerweile sind Entsetzten und Angst geblieben, aus ungläubigen Staunen ist blutige Realität geworden.
Jeden Tag erreichen uns nunmehr die Bilder des Grauens, des Elends und den Schrecken des Krieges.
Putin und seine Armee zerstören mit Bombenhagel und gezielten Angriffen Krankenhäuser- und Wohnviertel und richten ihre Angriffe auch bewusst gegen Zivilisten. Dies geschieht so, wie wir es in Grosny in Tschetschenien oder Aleppo in Syrien in gleicher Weise verfolgt haben.
Der bewundernswerte Widerstand der Ukrainer soll so bewusst gebrochen werden. Mariupol, - seit Wochen unter Dauerbeschuss, ohne Wasser, Strom und kaum noch Nahrungsmittel - ist ein besonderes Symbol für dieses Inferno.
Meine Damen und Herren,
wer so etwas tut – wie Putin und seine Armee – begeht ein Kriegsverbrechen. Und ein solcher Kriegsverbrecher gehört nicht an die Spitze eines Staates, sondern vor den internationalen Strafgerichtshof, um ihn dort zur Rechenschaft zu ziehen.
Trotz dieser Dauerangriffe zeigen die ukrainische Staatsführung und das ukrainische Militär und vor allen Dingen aber die ukrainische Bevölkerung eine bewunderungswürdige Haltung, der ich mit allergrößtem Respekt begegne.
Deshalb muss auch heute gelten: Wir stehen in voller Solidarität mit der Ukraine und ihren Menschen. Wir fordern die Einstellung des Krieges, den Abzug aller russischen Truppen und die volle Souveränität und das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine.
Die Haltung der NATO und der EU und der überwältigenden Mehrheit der Weltgemeinschaft wie sie sich zum Beispiel im UNO-Beschluss klar gezeigt haben, sind beeindruckend. Auch die Sanktionen wirken, und ich hoffe sehr, dass wir diese auch entschiedener umsetzen.
Aber niemand weiß, wie es in der Ukraine weitergeht, und vor allen Dingen, wann die Menschen dort wieder in Frieden leben können.
Jetzt können sie es auf jeden Fall nicht, und sie müssen um ihr Leben fürchten. Deshalb sind schon fast vier Millionen Kinder, Frauen und Männer aus dem Land geflüchtet und weitere Millionen Menschen sind innnerhalb der Ukraine auf der Flucht. Bundesinnenministerin Faeser ging am Wochenende davon aus, dass bis zu zehn Millionen Flüchtlinge das Land verlassen könnten.
Diese Flüchtlinge haben meistens in den Anrainerstaaten Zuflucht gesucht. Allein Polen hat mehr als zwei Millionen Menschen aufgenommen. Unsere Solidarität und Hilfe gilt natürlich besonders den Vertriebenen aus der Ukraine, aber auch den Anrainerstaaten, denen wir ebenfalls unsere Unterstützung und Hilfe angeboten haben.
Frau Europaministerin Puttrich war gestern in unserer Partnerregion Wielkopolska und hat dort mit den Verantwortlichen darüber beraten, in welcher Weise wir unsere Partnerregion in der Bewältigung dieser Flüchtlingskrise unterstützen können.
Unsere polnischen Freunde haben darum gebeten, kranke Kinder und Kriegsversehrte aus der Ukraine in hessischen Krankenhäusern und Traumazentren zu behandeln. Dies wollen wir selbstverständlich nach Kräften tun.
Auch zu uns in Deutschland sind mittlerweile bald 300.000 Flüchtlinge aus der Ukraine eingetroffen. Die meisten von ihnen sind Frauen und Kinder. Diese Menschen hier aufzunehmen und ihnen umfassende und rasche Hilfe zukommen zu lassen ist unsere gemeinsame Aufgabe. Ich freue mich dabei sehr über die großartige Hilfsbereitschaft unserer Bevölkerung. Viele Privatleute helfen, spenden und nehmen auch ukrainische Flüchtlinge auf. Diese großartige Solidarität verdient unser aller Anerkennung und Dankbarkeit.
Auch unseren Kommunen gilt mein ausdrücklicher Dank. Sie tun alles, um den Menschen zu helfen.
Viele ukrainische Flüchtlinge kommen direkt bei Freunden und Verwandten unter. Andere, die nicht bei Bekannten oder Freunden unterkommen können, werden über unsere Erstaufnahmeeinrichtungen, zum Beispiel in Gießen, aufgenommen. Wir können dabei auf unsere Erfahrungen und bewährten Strukturen aus der Flüchtlingskrise ab 2015/2016 zurückgreifen. Trotzdem ist es natürlich eine gewaltige Aufgabe, manchmal am Tag zwischen 500 und 1.000 Flüchtlingen aufzunehmen und zu betreuen. Dies gelingt uns. Aber es gelingt uns, auch nur deshalb, weil unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort in diesen Einrichtungen Großartiges leisten. Sie schauen nicht auf die Uhr und auf Zuständigkeiten, sondern sie helfen. Deshalb meinen herzlichen Dank an all diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, und ich schließe dabei insbesondere auch diejenigen Landesbediensteten ein, die sich aus allen Bereichen der Landesverwaltung hier zur Mitarbeit gemeldet haben. Mittlerweile sind über 8.000 Flüchtlinge in der Erstaufnahme in Gießen aufgenommen worden.
Die Menschen, die zu uns kommen, brauchen Hilfe, und sie bekommen sie auch. Dabei muss es uns gelingen, schnell, effizient und, soweit irgend möglich, unbürokratisch zu helfen.
Es war richtig, dass die europäische Gemeinschaft die sogenannte „Massenzustrom-Richtlinie“ angewandt hat, damit die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine sich frei in der EU bewegen können.
Die Anwendung von § 24 Aufenthaltsgesetzes ist damit folgerichtig und bietet den Flüchtlingen Aufenthalt und Schutz für bis zu drei Jahre.
Diese Lösung vermeidet aufwendige Asylverfahren und ermöglicht den Flüchtlingen unmittelbaren Zugang zu medizinischer Versorgung, zu Sozialleistungen oder Integrationskursen.
Besonders wichtig ist dabei auch, dass dieses Verfahren den Flüchtlingen den direkten Zugang zum Arbeitsmarkt und den Kindern und Jugendlichen zum unmittelbaren Schulbesuch eröffnet.
Bund und Länder haben vereinbart, dass die Verteilung der Flüchtlinge nach dem sogenannten „Königsteiner Schlüssel“ erfolgt und der Bund hierbei die Steuerung übernehmen soll. Dass kann aber nur funktionieren, wenn die Hilfesuchenden frühzeitig durch den Bund erfasst werden. Bislang funktioniert da neue System leider nicht, mit der Folge, dass die Flüchtlinge sehr ungesteuert in den Ländern und Kommunen ankommen.
Die Landesregierung hat sehr schnell eine zentrale Internetplattform unter dem Namen „Hessen hilft Ukraine“ errichtet, die gebündelt als Kontakt- und Informationsbörse dient. Gemeinsam mit den Kommunen wurden in kürzester Zeit landesweit Unterkunftsmöglichkeiten geschaffen. Für diese sehr gute Zusammenarbeit danke ich unseren Städten und Gemeinden ausdrücklich.
Unsere besondere Sorge muss den Kindern und Jugendlichen gelten. Sie haben schlimmstes erlebt, sind häufig traumatisiert und brauchen so rasch wie es nur geht wieder eine möglichst normale Umgebung.
Mit der Koordinierungsstelle „Kinder mit Fluchthintergrund“, die die Karl-Kübel-Stiftung im Auftrag des Landes betreibt, betreuen und unterstützen wir insbesondere die Kitas und ihre Träger.
Gemeinsam mit den Kommunen haben wir überall die Möglichkeit geschaffen, dass die Kinder die örtliche Kita besuchen können.
Um hier so flexibel wie möglich handeln zu können, hat das Sozialministerium gemeinsam mit den Kommunen entschieden, dass hier weitgehend auf die strengen Vorgaben des KiFöG verzichtet werden kann. Diese Vorschriften, zum Beispiel zur Gruppengröße und ähnliches, sind gut, aber jetzt kann es nicht um solche Fragen gehen, sondern darum, dass die Flüchtlingskinder überhaupt in die Kita gehen können.
Gleiches gilt für die ukrainischen Schülerinnen und Schüler. Wir profitieren hier von unseren Erfahrungen aus der Flüchtlingskrise nach dem Jahr 2015. In jedem Schulamtsbezirk sind besondere Ansprechpartner für diese Schülerinnen und Schüler vorhanden und wir setzten dabei auf unser Konzept der Integrationsklassen. Mit diesen Integrationsklassen können die Kinder und Jugendlichen gut in den schulischen Alltag integriert werden. Rund 1.300 ukrainische Flüchtlingskinder sind seit dem 01.03.2022 bereits in unseren Schulen angekommen, und die Zahlen steigen täglich weiter.
Zurzeit haben wir noch über 1.000 freie Plätze in den Grundschulen und ca. 1.700 an weiterbildenden Schulen einschließlich der Berufsschulen.
Wir bemühen uns auch intensiv darum, Personal für ukrainischen Unterricht zu gewinnen: Sowohl aus der Mitte der Geflüchteten, aber auch seitens der Ukrainern, die bereits hier bei uns leben und zum Beispiel auch hier studieren, wollen wir diese Kräfte gewinnen. Auch hier werden wir sehr unbürokratisch vorgehen und auf langjährige Anerkennungs- oder Statusfragen verzichten müssen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
die Flüchtlinge aus der Ukraine möchten eigentlich nicht auf Dauer hierbleiben, sondern so schnell wie möglich in ihre Heimat zurück. Niemand kann heute sagen, wann dies wieder möglich sein wird. Wir müssen uns deshalb darauf einstellen, dass die Flüchtlinge auch längere Zeit bei uns bleiben werden. Hierbei wird sich dann ein besonders schwieriges Problem zeigen. Wir können die Menschen nicht dauerhaft in Bürgerhäusern, Turnhallen oder Übergangsunterkünften lassen, sondern sie brauchen ordentlichen Wohnraum.
Wir können auch nicht davon ausgehen, dass die vielen Bürger, die jetzt in so großartiger Weise Flüchtlinge bei sich zuhause aufgenommen haben, dies auf etliche Monate und gegebenenfalls Jahre durchhalten können. Damit wird die Herausforderung noch dringender.
Um hier wenigstens etwas Abhilfe zu schaffen, wird die Landesregierung, wie in der Flüchtlingskrise 2015, die vielfältigen Bau- und insbesondere Bauordnungsvorschriften zur Nutzung bestehender Gebäude vorrübergehend aussetzen.
Dies wird helfen, aber die Bewältigung dieser Aufgabe durch die Kommunen wird nach meinem Dafürhalten ohne ein schnelles Bauhilfsprogramm nicht möglich sein.
Damit, meine Damen und Herren, komme ich zu einem Thema, dass angesichts der Kriegsgräuel und des Elends zunächst kleinkariert anmutet:
Wir wollen und wir werden helfen. Aber all diese Maßnahmen sind ohne erhebliche Mittel nicht zu leisten. Wir dürfen insbesondere die Kommunen hierbei nicht alleine lassen, und auch die Länder können dies nicht alleine stemmen.
Bei einer angenommenen Zahl von 1. Million Flüchtlinge in Deutschland würden nach dem „Königsteiner-Schlüssel“ ca. 75.000 Menschen nach Hessen kommen. Aufgrund der Erfahrungen mit der Aufnahme der Flüchtlinge aus den zurückliegenden Jahren-, rechnet das Finanzministerium bei einer solchen Zahl von Schutzsucheden mit besonderen Aufwendungen zwischen 400 und 700 Millionen Euro im Jahr.
Da die bisherige finanzielle Unterstützung des Bundes für die Flüchtlingsbetreuung Ende des vergangenen Jahres fast komplett ausgelaufen ist, fehlen uns zukünftig nicht nur die bisherigen Mittel, sondern die nun neuen Belastungen kommen noch hinzu. Es ist völlig klar, dass dies kein Land leisten kann.
Dieses Thema war auch Gegenstand der Beratungen in der MPK mit der Bundesregierung, und es überrascht nicht, dass alle Länder hier den Bund besonders in der Pflicht sehen. Es handelt sich um eine nationale Aufgabe, die auch eine massive und finanzielle Unterstützung des Bundes erfordert.
Der Bundeskanzler hat dies grundsätzlich anerkannt, und es wurde eine Arbeitsgruppe gebildet, die bis zur nächsten MPK am 7. April eine gemeinsame Lösung erarbeiten soll.
Es bleibt daher abzuwarten, wie diese Lösung konkret aussehen wird. Schon jetzt müssen wir aber davon ausgehen, dass der Bund sich wohl beteiligt, aber mit Sicherheit erhebliche zusätzliche Kosten auf das Land Hessen zukommen werden.
Ähnliches, meine Damen und Herren, erwarte ich auch bei einem Blick auf die neuesten Vereinbarungen der Ampel-Koalition zur Entlastung der Bürger in Folge des Ukraine-Krieges.
Das gesamte Paket, das nach Äußerung von Finanzminister Lindner etwa 17. Milliarden kosten soll, umfasst ganz unterschiedliche Maßnahmen, die vielfach zum Teil auch sehr kritisch bewertet wurden.
Ich will dies hier nicht im Einzelnen tun, sondern nur auf zwei Umstände besonders hinweisen:
Ungeachtet dessen, ob man die neuen Maßnahmen nun für angemessen hält, fehlt es jedenfalls an klaren Beschlüssen, wie das Ganze konkret finanziert werden soll. Dies hat große Bedeutung für die Länder und auch für uns Hessen. Wenn die Kosten dieser Maßnahmen zum Beispiel über Steuern, etwa über die Umsatzsteuer gegenfinanziert werden sollen, trifft dies zu mehr als 50 % die Länder und Kommunen mit der Folge erheblicher Einnahmeverluste. Gleiches gilt bei der Einkommensteuer oder ähnlichen Bereichen.
Ich will noch auf einen zweiten Punkt besonders hinweisen: Bei manchen Vereinbarungen ist nicht klar, wie sie denn praktisch überhaupt umgesetzt werden sollen.
Als Beispiel möchte ich auf die Vereinbarung für ein besonderes Nahverkehrsticket für dreimal einen Monat für 9 EUR hinweisen.
Bei der Verkehrsministerkonferenz am vergangenen Freitag haben praktisch alle Bundesländer, die von der Bundeskoalition beschlossene Lösung heftig kritisiert.
Meine Damen und Herren,
wie auch immer im konkreten die Lösungen aussehen werden: Es erscheint mir gewiss, dass auch dieses Paket erhebliche finanzielle Folgen für uns haben wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
Annalena Baerbock hat gesagt, wir sind in einer neuen Welt aufgewacht. Der Kanzler sprach von Zeitenwende. Dem wird niemand widersprechen.
Diese Zeitenwende wird auch uns massiv fordern, aber wir können dies bewältigen. Die Menschen in der Ukraine fürchten um ihr Leben, und die vielen Flüchtlinge haben schon jetzt fast alles verloren. Auch wenn es uns kostet, diesen Menschen zu helfen, muss unsere Verpflichtung sein.
Meine Damen und Herren,
schließen möchte ich mit einem Zitat aus meiner Rede hier im Landtag am Tag als der Krieg ausbrach, am 24.02.2022, ich zitiere:
„Was das alles in der Konsequenz bedeutet, vermag auch ich nicht zu sagen. Das Einzige, was sicher ist, ist dass dadurch die Weltpolitik verändert wird. Es wird auch uns treffen. Das wird Folgen haben. Bei allem Streit, den wir gelegentlich engagiert führen: Am Ende muss immer klar sein, auch wir sollten alles dazu beitragen, dass das Töten, die Angst und das Elend möglichst bald wenigstens gestoppt werden. Europa 2022 darf nicht völlig in Trümmer verfallen!“
Ich danke Ihnen!