1834 veröffentlichten Georg Büchner und Friedrich Ludwig Weidig anonym ihren Hessischen Landboten, in dem sie die Missstände im Großherzogtum Hessen auf drastische Weise anprangerten. Gegen sie und ihre Mitstreiter gingen die Justizbehörden mit äußerster Härte vor.
Soziale Missstände in Hessen
Aber die Armut der Landbevölkerung und die Unfähigkeit der Regierung, etwas dagegen zu tun, waren so offensichtlich, dass für viele Hessen nur als Ausweg blieb, das Großherzogtum zu verlassen und in der Neuen Welt ein besseres Leben zu suchen. Auch nach der Revolution von 1848 änderte sich daran wenig. Denn mit Reinhard von Dalwigk war 1850 ein Ministerpräsident berufen worden, der sich zwar um die Sanierung der Staatsfinanzen kümmerte und die Industrialisierung voranbringen wollte, aber auch mit harter Hand regierte. Die Hoffnungen richteten sich auf den Darmstädter Thronerben Ludwig, der am 1. Juli 1862 Alice, die zweitälteste Tochter von Queen Victoria und ihrem ‚Prinzgemahl‘, Albert von Sachsen-Coburg-Gotha, heiratete.
Alice kannte das ‚richtige Leben‘
Alice war am 25. April 1843 in London geboren worden. Besonders ihr sozialreformerisch denkender Vater achtete darauf, dass die als hübsch, intelligent und etwas eitel beschriebene Prinzessin ihre Kindheit und Jugend nicht abgeschlossen von der Bevölkerung verbrachte, sondern das ‚richtige Leben‘ mit Armut, Krankheit und Not, vornehmlich in London, kennenlernte. Das wurde prägend für sie und ihr späteres Leben in Darmstadt. Bei der Suche nach einem geeigneten Ehemann für sie, war auch der Darmstädter Ludwig ins Blickfeld geraten. Noch wurde im europäischen Hochadel nach strategischen Gesichtspunkten geheiratet, um Bündnisse zu bekräftigen, Allianzen vorzubereiten oder Konflikte zu entschärfen. Bei Alice und Ludwig war es aber, wie es scheint, wirkliche Liebe. Eine günstige Fügung, allerdings spielte das Großherzogtum auf dem europäischen Parkett nur eine bescheidene Nebenrolle. Als das junge Paar nach der Hochzeit auf der Isle of Wight durch Hessen reiste, wurde es überall mit Jubel empfangen. „Ich bin wirklich so gerührt von der Freundlichkeit und Begeisterung der Leute, welche ganz ungewöhnlich sein soll“, schrieb Alice am 13. Juli 1862 an ihre Mutter, „sie warten in der Nähe des Hauses, um uns zu sehen, und begrüßen uns beständig mit Jubelrufen – sogar die Soldaten“.
Projekte gegen Armut und soziale Verelendung
Alice bemerkte schon bald, dass im Großherzogtum alles ein paar Nummern kleiner ausfiel als im britischen Empire und dass weder der Großherzog noch die Regierung an einer liberaleren Politik interessiert waren, wie sie in ihrer Heimat geschätzt wurde. Da sie nicht in Repräsentations- und Mutterpflichten aufgehen wollte, widmete sie sich mit großer Hingabe den von ihr initiierten sozialen Projekten, die sich gegen Armut und die soziale Verelendung von Frauen richteten. In Luise Büchner, der Schwester von Georg Büchner, fand sie eine tatkräftige Mitstreiterin und Freundin. 1867 wurde der ‚Alice-Frauenverein für Krankenpflege‘ gegründet. Er basierte auf Erfahrungen, die man in Darmstadt während des preußisch-österreichischen Kriegs 1866 gemacht hatte. Denn für das in der Woogturnhalle eingerichtete Lazarett fehlten ausgebildete Krankenschwestern. Die Ziele des Vereins waren deshalb „die Hebung des Berufs der weltlichen Krankenpflege (…) und hierdurch die Eröffnung eines neuen Feldes der weiblichen Erwerbstätigkeit“.
Förderung von Frauen im Mittelpunkt ihres Engagements
Noch im selben Jahr 1867 entstand neben dem Alice-Frauenverein der ‚Verein zur Förderung der weiblichen Industrie‘, der sich später ‚Alice-Verein für Frauenbildung und -Erwerb‘ nannte. Der Verein, dessen Präsidentin Prinzessin Alice selbst war, hatte es sich zum Ziel gesetzt, einen „permanenten Bazar“ einzurichten, „in welchem neu gefertigte weibliche Arbeiten ausgestellt und möglichst im Interesse der Arbeiterinnen verkauft werden“. Der ‚Alice-Bazar‘ bot faire Verkaufsmöglichkeiten, stellte bei Auftragsarbeiten sogar das Material und verschaffte gerade ärmeren Familien ein willkommenes Zubrot. 1870 wurde das ‚Alice-Lyzeum‘ mit Abendkursen für Mädchen und Frauen eingerichtet. Daraus entwickelte sich 1875 die Alice-Schule als „Industrieschule für Mädchen“, der ein Jahr später ein Seminar für Handarbeitslehrerinnen angegliedert wurde. Alice und Ludwig, der 1877 Großherzog wurde, hatten sieben Kinder. Der dreijährige Friedrich Wilhelm starb 1873 bei einem Fenstersturz. Ihre Tochter Marie Viktoria und die Großherzogin selbst wurden Opfer einer Diphtherie-Epidemie. Alice starb, gerade fünfunddreißigjährig, am 14. Dezember 1878 in Darmstadt.